Vergleichende Untersuchungen zu Möglichkeiten der Ganganalyse bei Hunden mit dem Leitsymptom Ataxie
Ataxie ist definiert als Bewegungsinkoordination und ist ein Symptom, mit welchem diverse neurologische Erkrankungen einhergehen. Zudem wurde es beim Hund als Nebenwirkung der Einnahme des Antiepileptikums Phenobarbital (PB) beschrieben und wird häufig in Verbindung mit Lähmungserscheinungen bei Hunden mit Rückenmarksverletzungen beobachtet. In Abhängigkeit von der neuroanatomischen Lokalisierung der Läsion werden vier Formen der Ataxie unterschieden: zerebellär, spinal, vestibulär, peripher. Ziel dieser prospektiven Studie war es, mittels eines computergestützten Ganganalysesystems Unterschiede in den Gangbildmerkmalen ataktischer im Vergleich zu gesunden Hunden mit einem physiologischen Gangbild festzumachen. Des Weiteren zielte sie darauf ab, Möglichkeiten der Kategorisierung von gesundem und ataktischem Gangbild mithilfe eines Standard-Algorithmus für maschinelles Lernen zu untersuchen. Im ersten Durchgang wurden sowohl ataktische Hunde unter Behandlung mit PB als auch mit thorakolumbaler Myelopathie (T3/L3 Rückenmarksegment) separat untersucht um mithilfe computergestützter Ganganalyse auf dem Laufband und entsprechender Software kinetische und spatio-temporale Datensätze zu generieren. Im Anschluss wurden die gemessenen Parameter zur besseren Vergleichbarkeit sowohl relativiert als auch deren Variationskoeffizienten berechnet. PB-induzierte und spinale Ataxie waren mit diesem Versuchsaufbau quantifizierbar. Hunde mit idiopathischer Epilepsie, die an Ataxie als Folge einer Behandlung mit PB leiden, zeigten eine höhere Variabilität spatio-temporaler Gangparameter. Ataktische Hunde mit thorakolumbaler Rückenmarkschädigung zeigten zusätzlich eine höhere Variabilität kinetischer Gangparameter und im Vergleich insgesamt höhere Variabilitäten aller betroffenen Parameter. Phasenverschiebungen des Gangzyklus' zugunsten der Stützphasen waren sowohl bei PB-induzierter als auch bei spinaler Ataxie zu beobachten, während standardisierte Bodenreaktionskräfte lediglich zu einem geringen Grad durch Ataxie betroffen waren. Bei der Versuchsgruppe mit thorakolumbalen Rückenmarksläsionen spielten entweder unwillkürliche Faktoren wie Muskelatrophie und Parese, oder eine willkürliche Strategie zur Vermeidung des Hinfallens durch die Reduktion beherzter Schritte und damit der Gefahr eines Gleichgewichtsverlustes eine Rolle. Zusätzlich war auffällig, dass bei Hunden mit T3/L3-Myelopathie die Variationskoeffizienten der Vordergliedmaßen ebenfalls erhöht waren. Die Laufbandanalysen konnten insgesamt zeigen, dass Kompensationsmechanismen in der Fortbewegung von ataktischen Hunden sowohl räumlich-zeitliche als auch kinetische Gangparameter einbezogen, um Gleichgewichtsverlust durch Inkoordination der Gliedmaßen auszugleichen. Dabei schienen diese Kompensationsmechanismen erfolgreicher von Hunden mit PB- induzierter Ataxie angewendet zu werden. In einem zweiten Durchgang wurden Hunde mit Ataxie unterschiedlicher Ursachen und gesunde Hunde nach einem unkomplizierten Testprotokoll auf gerader Linie an einer Leine geführt, um akzelerometrische und gyroskopische Datensätze inertialer Messeinheiten zu generieren. Die Aufnahmen wurden mithilfe eines kommerziellen Smartphones und der Applikation Encephalog Clinic®/Mon4t® Clinic durchgeführt. Smartphone-Sensoren generierten Datensätze, die von klassischen Algorithmen für maschinelles Lernen genutzt werden konnten, um Ataxie mit einer Genauigkeit von 95 % festzustellen. IMU-Sensoren in Smartphones erkannten multidirektionale Bewegungen, während sie auf dem Rücken des Hundes fixiert waren – ein Versuchsaufbau, der auf einfache Weise sowohl im Untersuchungsraum als auch von zu Hause aus repliziert werden kann und damit die Akquirierung von Daten jederzeit und überall ermöglicht. Durch den simplen Aufbau könnten Ganganalysen zukünftig unabhängig von der Umgebung, dem Untersuchenden und dem zeitlichen Rahmen durchgeführt werden. Die dadurch entstehende Souveränität bezogen auf das Sammeln von Daten könnte dabei helfen, kanine neurologische Erkrankungen besser zu verstehen, Applikationen zur Diagnostik und für das Monitoring von Ataxie zu entwickeln und dabei in heimischer Umgebung Stress und seine negativen Auswirkungen auf Patienten und deren Besitzer zu vermeiden.
Weiterführende Forschung ist notwendig, um Kompensationsmechanismen ataktischer Patienten noch präziser charakterisieren zu können sowie um neue Möglichkeiten der objektiven Diagnostik und des Monitorings zu optimieren und weiterzuentwickeln. Smartphone-Applikationen könnten langfristig dabei helfen, die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Formen und Schweregraden von Ataxie zu vereinfachen, sowie Monitoring der geeigneten Therapie zu erleichtern.
Ataxia is defined as incoordination in locomotion and is a clinical sign associated with several neurological diseases. It was reported as an adverse effect of phenobarbital (PB) administration and together with paresis is commonly seen in dogs with spinal cord injury. One distinguishes between four forms of ataxia depending on the neuroanatomic localization of its origin: cerebellar, spinal, vestibular and peripher. The aim of this prospective clinical study was to determine significant differences in gait characteristics of ataxic dogs and healthy dogs with a physiological gait using a computer-based gait analysis system. It furthermore aimed at investigating the possibility of categorizing healthy and ataxic gait using a standard machine learning algorithm. The superior purpose is the improvement of diagnostic and therefore therapeutic options of canine ataxia. Thus, in a first run ataxic dogs under PB treatment and ataxic dogs with thoracolumbar myelopathy were investigated separately in order to generate kinetic and spatio-temporal data using computer-based gait analysis on a pressure-sensitive treadmill. Subsequently, measured data were standardized for better comparability and their coefficients of variation were calculated. The experimental setup described was able to objectively quantify PB-induced and spinal ataxia. Dogs with idiopathic epilepsy and ataxia due to PB treatment showed higher variability in spatio-temporal gait parameters. Ataxic dogs with thoracolumbar spinal cord injury additionally showed higher variability in kinetic gait parameters and in comparison, more variability in all parameters concerned. Stride phases were shifted towards support/stance phases in PB-induced and spinal ataxic dogs, whereas standardized ground reaction forces were only slightly affected by ataxia. In dogs with thoracolumbar spinal cord injury, either involuntary conditions such as muscle atrophy and paresis or an intentional strategy of avoiding falling by reducing the risk of misbalancing the body axis by taking enthusiastic steps played a role. In addition, it was noticeable that in dogs with thoracolumbar myelopathy, coefficients of variation of the thoracic limbs were increased as well. Treadmill analysis was able to show that compensatory mechanisms in locomotion of ataxic dogs include spatio-temporal and kinetic gait characteristics, supposedly in order to compensate imbalance caused by limb incoordination. In this study, compensatory mechanisms seemed to be more sufficiently applicable by dogs with PB-induced ataxia. In a second run, dogs with ataxia of several causes were led walking in a straight line on a leash according to a simple testing protocol in order to collect inertial measurement unit data samples. The recordings of accelerometric and gyroscopic data were made by the Encephalog Clinic®/Mon4t® Clinic application on a commercial smartphone. Body-worn smartphone sensors generated data that could be used with classical machine learning algorithms to detect ataxia with 95 % accuracy. Standard IMU smartphone sensors detected multidirectional movement while being fixed on the dog’s back – a setting that can be easily replicated in anyconsultation room or home, enabling data acquisition by anybody anytime, anywhere. The resulting independence concerning data collection can help creating a better understanding towards canine neurologic disorders and even developing applications for diagnosing and monitoring purposes of ataxia while being in a home environment and thus avoiding stress in patients and their caretakers that could possibly aggravate therapy. Future research is needed to characterize compensatory mechanisms of ataxic patients more precisely as well as to optimize and further develop new objective diagnostic and monitoring tools. Smartphone applications could help distinguishing between different forms and degrees of severity of canine ataxia and finally facilitate the choice of appropriate treatment options.