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Untersuchungen zu Einflussfaktoren für das Auftreten von Federpicken und Kannibalismus bei Putenhähnen der Linie B.U.T. 6 im Hinblick auf den Verzicht des Schnabelkürzens

Das Auftreten von Federpicken und Kannibalismus stellt seit langem ein bekanntes, tierschutzrelevantes Problem in der Haltung von Mastputen dar. Die mit Federpicken und Kannibalismus einhergehenden Folgeerscheinungen sind vielschichtig: So leiden Küken bei auftretenden Federverlusten auch unter erhöhten Wärmeverlusten. Die entstehenden Verletzungen führen bei betroffenen Tieren zu Schmerzen und Leiden. Die Tiere sind anfälliger gegenüber Krankheiten, so dass die Verluste in einer Herde bei vermehrtem Auftreten von Federpicken und Kannibalismus zunehmen. Zusätzlich zu diesen aus Sicht des Tierschutzes und Tierwohls kritischen Punkten führt Federpicken und Kannibalismus auch zu wirtschaftlichen Verlusten.

Als mögliche Ursachen für das Auftreten dieser Verhaltensstörungen werden Faktoren wie schnelles Wachstum, die Herdengröße, die Besatzdichte, eine reizarme Haltungsumwelt, schlechtes Stallklima, Fütterungsaspekte als auch die Genetik diskutiert.

Um das Auftreten schwerwiegender Verletzungen zu reduzieren, wird derzeit in der konventionellen Putenhaltung die Oberschnabelspitze der Tiere gekürzt. Dieser nichtkurative Eingriff, wie auch die reizarme Haltungsumwelt und das zur Verfügung stehende Platzangebot werden jedoch sowohl von fachwissenschaftlicher Seite als auch von Seiten der Gesellschaft kritisiert. Gefordert werden stattdessen ein erhöhtes Platzangebot, eine Stallstrukturierung, mehr Beschäftigungsmöglichkeiten, als auch Außenklimareize und abwechslungsreichere Bodenbeläge, um zukünftig auf das Kürzen der Oberschnabelspitze verzichten zu können.

Ziel dieser Arbeit ist es den wissenschaftlichen Stand zu den Auslösern von Federpicken und Kannibalismus aufzuzeigen und Bezug zu nehmen, auf den möglichen Verzicht des Schnabelkürzens in Deutschland. Hierbei liefern planimetrische Untersuchungen, wie auch Haltungsversuche mit unterschiedlichen Besatzdichten, Erkenntnisse zum Platzbedarf und der Haltung von Putenhähnen mit intaktem Schnabel.

 

Zur Ermittlung des Platzangebotes wurden im Rahmen von Untersuchungen im 14-tägigen Abstand zwischen dem siebten und 133. Lebenstag jeweils 50 Putenhähne über zwei Durchgänge hinweg planimetriert. Hierzu wurden die Tiere gewogen und im Anschluss in eine Holzkiste mit schwarzem Boden gesetzt. Auf dem schwarzen Untergrund wurden die Puten sowohl in stehender als auch in sitzender Position in Aufsicht fotografiert. Im Anschluss wurden die Bilder mit der Computersoftware „KobaPlan“ ausgewertet.

An nahezu allen Untersuchungszeitpunkten nahmen die Putenhähne in sitzender Position mehr Platz in Anspruch als in stehender Position. Der Zusammenhang zwischen Lebendmasse und Flächenabdeckung ließ sich für beide Körperhaltungen mit Hilfe von quadratischen Regressionen beschreiben, die mit 95 % bei stehender Körperposition und 96 % bei sitzender Körperhaltung ein hohes Bestimmtheitsmaß aufwiesen. Am 35. Lebenstag, gegen Ende der Aufzucht, wogen die Putenhähne im Durchschnitt 1 975 g und deckten in stehender Position 377,2 cm² ab. In sitzender Körperhaltung nahm ein fünf Wochen alter Putenhahn im Durchschnitt 414,4 cm² in Anspruch. Gegen Ende der Mast am 133. Lebenstag wogen die Tiere im Durchschnitt 21 139 g und deckten zwischen 1 405,0 cm² (stehend) und 1 622,2 cm² (sitzend) der Stallbodenfläche ab.

Rein rechnerisch würde bei einer Besatzdichte von 58 kg/m² den Putenhähnen gegen Ende der Mast 55,55 % bis 61,50 % der Stallbodenfläche für raumgreifende Verhaltensweisen zur Verfügung stehen. Überträgt man diese Vorgaben auf die Aufzucht, lässt sich ableiten, dass gegen Ende der Aufzucht maximal zehn bis elf Tiere pro m² Stallbodenfläche gehalten werden dürften.

Bei der Ableitung des erforderlichen Platzangebotes gilt es allerdings zu beachten, dass die angeführten Ergebnisse sich nur auf den „behavioural space“ beziehen und hierbei raumgreifende Verhaltensweisen wie z.B. das Staubbaden noch nicht berücksichtigt werden. Zudem nehmen weitere Faktoren wie Individualdistanzen („social interaction space“) und die mögliche Synchronisation von Verhalten („time-sharing“) auf den Platzbedarf eines Tieres Einfluss. Hierzu gibt es jedoch bislang wenig Erkenntnisse und weiteren Forschungsbedarf.

 

Um den Einfluss der Besatzdichte zu untersuchen, wurden in zwei aufeinanderfolgenden Durchgängen jeweils zwei Herden schnabelungekürzter Putenhähne der Linie B.U.T. 6 bei zwei unterschiedlichen Besatzdichten eingestallt. Hierbei wurde als niedrige Besatzdichte (LD) 40 kg/m² in Orientierung an die Vorgaben des Deutschen Tierschutzbundes e.V. gewählt. Als hohe Besatzdichte (HD) wurde 58 kg/m² als maximal zulässige Besatzdichte laut Bundeseinheitlicher Eckwerte festgelegt. Die Putenhähne wurden in einer angereicherten Haltungsumwelt gehalten, in der den Tieren Heukörbe, Pickblöcke und von der Decke hängende Metallketten kontinuierlich als Beschäftigungsmaterial zur Verfügung standen. Zudem wurde der Stall durch Strohquaderballen, Unterstände und den Zugang zu einem Außen-klimabereich in unterschiedliche Funktionsbereiche unterteilt. Verletzte Tiere wurden bereits bei kleinsten, frisch blutenden Verletzungen von der Herde separiert. Sobald innerhalb von 24 Stunden ≥ 0,5 % der Tiere einer Herde aufgrund von Verletzungen separiert werden mussten, erfolgte ein zusätzliches Angebot von Beschäftigungs-material. Für beide Herden wurden sowohl die Anzahl der verletzten, separierten Tiere, die Gesamtverluste als auch die Anzahl der verendeten und gemerzten Tiere mit Verletzungen durch Kannibalismus erfasst. Zusätzlich wurden die verendeten und gemerzten Tiere einer Sektion unterzogen.

Bis zu 15,81% der Tiere einer Herde mussten im Verlauf eines Durchganges separiert werden. Während im ersten Durchgang signifikant mehr Tiere bei der HD aufgrund von Verletzungen separiert werden mussten (HD 9,30%; LD 5,56%; p < 0,001), wiesen im Gegensatz dazu im zweiten Durchgang bei der LD signifikant mehr Tiere Verletzungen auf (HD 4,93%; LD 7,67%; p = 0,0035). In Hinblick auf die Gesamtmortalität konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Besatzdichten nachgewiesen werden. Die Gesamtmortalitäten waren mit 5,56 % bei der HD und 6,78 % bei der LD im ersten Durchgang etwas geringer als im zweiten Durchgang, in dem bei der HD 9,26 % der Tiere und bei der LD 8,45 % der Puten verendeten oder gemerzt werden mussten. In der Sektion wiesen zwischen 32,59 % bis zu 44,00 % der verendeten und gemerzten Tiere tiefgreifende Verletzungen auf.

Die Untersuchungen haben gezeigt, dass eine Optimierung der Haltungsumwelt in Verbindung mit einem zeitintensiven Management, es ermöglicht, schnabelungekürzte Putenhähne unter praxisnahen Bedingungen in einem Offenstall zu halten. Jedoch muss aus Sicht des Tierwohls und Tierschutzes diskutiert werden, ob die in Verbindung mit dem Verzicht des Schnabelkürzens auftretenden, tieferen Verletzungen bei einem Teil der Tiere vertretbar sind.

 

Im Rahmen dieser Untersuchungen konnte kein Zusammenhang zwischen der Höhe der Besatzdichte und dem Auftreten von Federpicken und Kannibalismus aufgezeigt werden. Die Ergebnisse stimmen mit Erkenntnissen aus einer aktuellen Studie überein, bei der aggressives Picken bei Putenhähnen sowohl bei einer hohen als auch bei einer vergleichbaren niedrigen Besatzdichte vermehrt beobachtet wurde.

Trotz Strukturierung der Haltungsumwelt und einem vermehrten Angebot an Beschäftigungsmaterial, trat phasenweise Beschädigungspicken auf. Diese Beobachtung bestätigt die Erkenntnisse aus vorhergegangenen wissenschaftlichen Untersuchungen, in denen eine Haltungsanreicherung mittels Strukturierung und Beschäftigungsmaterial zwar das Auftreten von Verletzungen in Verbindung mit Federpicken und Kannibalismus reduzierte, jedoch nicht gänzlich verhindern konnte. Ein möglicher Ansatz, um zukünftig das Auftreten von tiefen Verletzungen zu vermeiden, wird im „Blunting“ gesehen, jedoch besteht auch hier noch weiterer Forschungsbedarf.

 

Auch wenn diese Ansätze zur Haltungsoptimierung in Verbindung mit einem zeitintensiven Management, die Haltung von schnabelungekürzten Putenhähnen in diesem Versuch ermöglichte, müssen weitere Untersuchungen zeigen, in weit sich dieses Vorgehen auch auf größere Betriebe übertragen lässt.

Der gesellschaftlich geforderte Verzicht auf das Schnabelkürzen sollte erst dann umgesetzt werden, wenn durch Anpassung der Haltung und Managementmaßnahmen sichergestellt werden kann, dass auch bei der Haltung von Tieren mit intaktem Schnabel, die Anzahl an verletzten Tieren gering bleibt. Hierzu besteht jedoch hinsichtlich der Ursachen des Auftretens von Beschädigungspicken zunächst weiterer Forschungsbedarf.

The occurrence of feather pecking and cannibalism has been a long known problem in the husbandry of fattening turkeys regarding to animal welfare. The consequences associated with feather pecking and cannibalism are complex: turkey chicks suffer from increased heat loss in connection with feather loss. The resulting injuries cause pain and suffering in affected animals. Moreover, the animals are more susceptible to diseases, so that losses in a flock increase with increased occurrence of feather pecking and cannibalism. In addition to these critical points from an animal welfare and protection point of view, feather pecking and cannibalism also lead to economic losses.

Factors such as rapid growth, flock size, stocking density, poor environmental complexity, housing climate, feeding aspects and genetics are discussed as possible causes for the occurrence of these behavioural disorders.

In order to reduce the incidence of serious injuries, in conventional turkey husbandry the upper beak tip is currently trimmed. However, this non-curative intervention, as well as the low-stimulus housing environment and the space offer, are criticized by experts and society. Instead, more space, stable structuring, more enrichment, as well as outdoor climate stimuli and more varied floor coverings are required in order to refrain from beak trimming in the future.

The aim of this work is to show the scientific status of the triggers of feather pecking and cannibalism and to refer to the possible waiver of beak trimming in Germany. In this context, planimetric investigations as well as husbandry trials with different stocking densities provide insights into the space requirements and the husbandry of turkeys with intact beaks.

 

To investigate the space supply, 50 turkey toms were planimetrised over two trials at 14-day intervals between the seventh and 133rd day of life. For this purpose, the birds were weighed and then placed in a wooden box with a black bottom. On the black base, the turkeys were photographed in both standing and sitting positions in top view. Afterwards, the pictures were analysed with the computer software "KobaPlan".

At almost all points in time, the turkeys occupied more space in a sitting position than in a standing position. The correlation between live mass and area coverage could be described for both body positions with the help of quadratic regressions, which had a high coefficient of determination of 95 % for the standing position and 96 % for the sitting position. On the 35th day of life, towards the end of rearing, the turkeys weighed an average of 1 975 g and covered 377.2 cm² in the standing position. In a sitting position, a five-week-old turkey tom occupied an average of 414.4 cm². Towards the end of fattening on the 133rd day of life, the birds weighed an average of 21 139 g and covered between 1 405.0 cm² (standing) and 1 622.2 cm² (sitting) of the barn floor area.

In purely mathematical terms, at a stocking density of 58 kg/m² towards the end of fattening 55.55 % to 61.50 % of the barn floor area would be available to the turkeys for space-occupying behaviour. If these recommendations are transferred to rearing, it can be concluded that towards the end of rearing a maximum of ten to eleven birds per m² of floor space should be kept.

When deriving the required space, nevertheless, it is important to note that the results given only refer to the "behavioural space" and do not take into account space-occupying behaviour such as dust bathing. In addition, other factors such as individual distances ("social interaction space") and the possible synchronisation of behaviour ("time-sharing") influence the space requirements of an animal. However, there is little knowledge about this so far and a need for further research.

 

In order to investigate the influence of the stocking density, two flocks of beak-trimmed turkey toms (B.U.T. 6) were housed in two consecutive trials at two different stocking densities. The low stocking density (LD) of 40 kg/m² was selected in accordance with the guidelines of the German Animal Welfare Association. The high stocking density (HD) was set at 58 kg/m² as the maximum allowed stocking density according to the federal guidelines for turkey husbandry. The turkey toms were kept in an enriched housing environment in which hay baskets, pecking blocks and metal chains hanging from the ceiling were continuously available to the animals as manipulable material. In addition, the barn was structured into different functional areas with straw bales, shelters and access to an outdoor area. Injured animals were separated from the flock even in the case of the smallest, freshly bleeding injuries. As soon as ≥ 0.5 % of the animals in a flock had to be separated due to injuries within 24 hours, additional manipulable material was offered. For both flocks, the number of injured, separated animals, the total losses as well as the number of culled and perished animals with injuries due to cannibalism were recorded. In addition, the culled and perished animals were dissected.

During a trial up to 15.81% of the turkeys in a flock had to be separated. While in the first trial significantly more animals of the HD flock had to be separated due to injuries (HD 9.30%; LD 5.56%; p < 0.001), in contrast, in the second trial significantly more animals had injuries in the LD flock (HD 4.93%; LD 7.67%; p = 0.0035). With regard to cumulative mortality, no significant differences between the different stocking densities could be detected. Cumulative mortality was slightly lower in the first trial (5.56% HD; 6.78% LD) than in the second trial (9.26% HD; 8.45% LD). In the necropsy, between 32.59% and 44.00% of the perished and culled animals had deep injuries. The investigations have shown that optimising the housing environment in conjunction with time-intensive management makes it possible to keep non-beaktrimmed turkey toms in a curtain-sided barn under conditions similar to those in commercial practice. However, from the point of view of animal welfare and protection, it must be discussed whether the deeper injuries which some of the animals as consequence of the waiver of beak trimming will have, are justifiable.

 

Despite structuring of the environment and an increased supply manipulable material, damage pecking occurred at times. This observation confirms the findings from previous scientific studies, in which enrichment of the housing by means of structuring and manipulable material reduced the occurrence of injuries in connection with feather pecking and cannibalism, but could not completely prevent them. A possible approach to prevent the occurrence of deep injuries in the future is seen in "blunting", but there is a need for further research, too. 

Within this study no connection between stocking density and the occurrence of feather pecking and cannibalism could be shown. The results are consistent with findings from a recent study in which aggressive pecking was observed to increase in turkey toms at both high and comparable low stocking densities.

Despite increased structuring and offer of manipulable material, increased damage pecking occurred at times. This observation confirms the findings from previous scientific studies, in which enrichment by means of structuring and manipulable material led to a reduction in injuries. But the occurrence of feather pecking and cannibalism could not be completely prevented. One possible approach to avoid the occurrence of deep injuries in the future is seen in "blunting", but there is a need for further research, too.

 

Even if these approaches to optimize turkey husbandry in combination with time-intensive management made it possible to keep non-beaktrimmed turkey toms in this study, further investigations must show to what extent this approach can also be transferred to larger farms.

The socially demanded waiver of beak trimming should only be implemented if new concepts for adapting turkey husbandry and management ensures, that the number of injured animals remains low even when keeping animals with intact beaks. However, there is a need for further research on the causes of the occurrence of damage pecking.

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