Elektrophysiologische und histologische Untersuchungen zum protektiven Effekt von Glial cell line-derived neurotrophic factor, Brain-derived neurotrophic factor, Dexamethason und Elektrostimulation auf Spiralganglienzellen ertaubter Meerschweinchen
Hörminderung und Taubheit stellen in den industrialisierten Nationen eine der am weitesten verbreiteten Krankheiten dar. Die Behandlung taub geborener und ertaubter Patienten ist in den letzten Jahren durch die Einführung künstlicher elektronischer Innenohrprothesen, so genannter Cochlea-Implantate (CI), revolutioniert worden. Inzwischen ist die CI-Versorgung die weitläufig anerkannte Routinebehandlung von Patienten mit vollständigem sensorineuralen Hörverlust. Allerdings gibt es nach wie vor große individuelle Unterschiede hinsichtlich des Erfolges, der mit einem CI erreicht wird. Eine Erklärung für diese Variabilität könnte in der Anzahl der für eine elektrische Stimulation zur Verfügung stehenden Spiralganglienzellen (SGZ) liegen. Da das CI die Funktion der geschädigten Haarzellen durch eine direkte elektrische Stimulation der SGZ übernimmt, ist der Erfolg eines CI’s auch von der Anzahl der für eine elektrische Stimulation zur Verfügung stehenden SGZ abhängig. Diese unterliegen nach Haarzellverlust einer Degeneration, welche mit der Dauer der Taubheitsphase fortschreitet. Neurotrophe Faktoren wie Glial cell line-derived neurotrophic factor (GDNF) und Brain-derived neurotrophic factor (BDNF) sowie elektrische Stimulation bewirken, als Einzel- und Kombinationsstimuli direkt nach Ertaubung appliziert, eine Protektion der SGZ vor Degeneration. Unklar war vor der Durchführung dieser Arbeit, ob die Degeneration der SGZ auch bei verzögert einsetzender Therapie verlangsamt, oder gar gestoppt werden kann. Neben einer möglichst großen Anzahl vitaler SGZ ist für eine optimale Versorgung mit einem CI eine enge Nerven-Elektroden-Interaktion von Bedeutung. Diese kann durch eine Minimierung implantationsbezogener Bindegewebsneubildung im Bereich der inserierten Elektrode verbessert werden. Dexamethason ist aufgrund seiner bekannten anti-inflammatorischen und anti-proliferativen Eigenschaften bei lokaler Applikation ins Innenohr potentiell geeignet, unerwünschte Bindegewebsbildungen im Bereich der implantierten CI-Elektoden zu minimieren und damit für eine verbesserte Nerven-Elektroden-Interaktion zu sorgen. Die Ziele der vorliegenden Arbeit waren die quantitative Bestimmung der SGZ-Überlebensraten sowie die Untersuchung der Funktionalität der Cochlea nach fortgeschrittener Taubheit. Zusätzlich sollte die Wirkung Dexamethasons auf die Gewebsreaktionen nach Elektrodeninsertion sowie auf den das SGZ-Überleben steigernden Effekt der elektrischen Stimulation untersucht werden. Folgende experimentelle Bedingungen wurden an 49 Meerschweinchen untersucht: - Einzelstimuli: GDNF (100 ng/ml, n=6), BDNF (50 ng/ml, n=6), Dexamethason (100 ng/ml, n=6), monopolare (AP+ES(M), n=6) und bipolare (AP+ES(B), n=3) elektrische Stimulation (ES) - Kombinationsstimuli: GDNF+ES(M, n=5), BDNF+ES(B, n=5), Dexamethason+ES(M, n=5) - Kontrollgruppe: artifizielle Perilymphe (AP, n=7) Die Versuche wurden unter Anwendung nachfolgender Methoden und Konditionen durchgeführt: - Elektrophysiologische Bestimmung der akustischen (AABR) und elektrischen (EABR) Hörschwellen - Mikrochirurgische systemische Ertaubung - Implantation der Elektroden-Mikropumpensysteme - Pumpenwechsel - Materialgewinnung - Histologische quantitative Bestimmung der Dichten der SGZ (Zahl der protektierten SGZ/ 10.000 µm2) Tag 0: Messung der akustischen Hörschwelle, Ertaubung; Tag 5: Messung der akustischen Hörschwelle; Tag 21: Messung der akustischen Hörschwelle, Implantation; Tag 24: Beginn der elektrischen Stimulation (stimulierte Tiere); Tag 28: Messung der elektrischen Hörschwelle, Justierung des Stimulators (stimulierte Tiere); Tag 34: Messung der elektrischen Hörschwelle, Justierung des Stimulators (stimulierte Tiere), Pumpenwechsel; Tag 41: Messung der elektrischen Hörschwelle, Justierung des Stimulators (stimulierte Tiere); Tag 48: Messung der elektrischen Hörschwelle (stimulierte Tiere), Materialgewinnung, Aufarbeitung der Cochleae, mikroskopische quantitative Bestimmung der Dichten überlebender SGZ. Die Ergebnisse der Arbeit belegen ein verbessertes Überleben der SGZ nach 3 Wochen verzögerter Anwendung von GDNF (p < 0,01; 1,08 ± 0,76 SGZ/ 10.000 µm2) im Vergleich zu der Kontrollgruppe (-0,45 ± 0,61 SGZ/ 10.000 µm2). Die BDNF-Therapie führte gegenüber der Kontrollgruppe zu keiner signifikanten Erhöhung der SGZ-Überlebensrate (1,10 ± 2,93 SGZ/ 10.000 µm2). Der Vergleich der protektiven Effekte der beiden Nervenwachstumsfaktoren zeigte keinen Unterschied. Die monopolare und die bipolare elektrische Stimulation führten, verzögert nach Ertaubung initiiert, zu einer gesteigerten Überlebensrate der SGZ (p < 0,05; AP+ES(M): 0,74 ± 0,72 SGZ/ 10.000 µm2, AP+ES(B): 1,19 ± 0,79 SGZ/ 10.000 µm2). Auch die elektrischen Hörschwellen der chronisch stimulierten Versuchsgruppen zeigten im Versuchsverlauf eine Verbesserung. Die Kombinationstherapie aus neurotrophen Faktoren und elektrischer Stimulation bewirkte, trotz der verzögerten Therapieeinleitung, einen zum Teil hoch signifikanten synergistischen, die SGZ protektierenden, Effekt (GDNF+ES: p < 0,001; 2,46 ± 0,76 SGZ/ 10.000 µm2); BDNF+ES: p < 0,05; 1,69 ± 0,82 SGZ/ 10.000 µm2). Dieser spiegelte sich auch funktionell in einer Reduktion der elektrischen Hörschwelle im Versuchsverlauf wider. Die Dexamethasonapplikation konnte postoperatives Gewebewachstum nicht verhindern. Die Kombination Dexamethasons mit elektrischen Stimulation führte zu einer Protektion der SGZ (p < 0,01; 2,05 ± 1,72 SGZ/ 10.000 µm2). Somit übt Dexamethason keinen negativen Effekt auf die das Überleben der SGZ steigernde Wirkung der elektrischen Stimulation aus. Diese Ergebnisse sind innovativ und haben ein großes klinisches Anwendungspotential. Die gewählten Versuchsbedingungen entsprechen viel eher der klinischen Situation, bei der eine Cochlea-Implantat-Versorgung ebenfalls erst mit einem zeitlichen Verzug nach Ertaubung durchgeführt wird. Die gewonnen Daten belegen, dass die nach Ertaubung einsetzende Degeneration der SGZ mit verzögert initiierten Therapien positiv beeinflusst werden kann. Die kombinierte Intervention aus Nervenwachstumsfaktoren und elektrischer Stimulation erwies sich, im Vergleich zu den jeweiligen Einzelstimuli, als hochgradig geeignet diesen Effekt hervorzurufen. Die Ergebnisse sind sehr ermutigend hinsichtlich einer zukünftigen klinischen Anwendung einer elektrischen Stimulation des Hörnerven durch ein Cochlea-Implantat bei gleichzeitiger lokaler Applikation von Nervenwachstumsfaktoren zur Steigerung der Effektivität der Implantate.
Hearing loss – ranging from mild hearing loss to total deafness – is one of the most widespread diseases in the industrialised countries. The treatment of individuals with congenital or acquired deafness has been revolutionized in the past years by the introduction of artificial electronic inner ear prostheses, so-called cochlear implants (CI). Meanwhile cochlear implantation has become widely accepted as routine treatment for patients with complete sensorineural hearing loss. However, there are still large individual differences in the level of success achieved with a cochlear implant. One explanation for this variability could lie in the number of spiral ganglion cells (SGC) available for electrical stimulation. As the CI takes over the function of the damaged hair cells by means of direct electrical stimulation of the SGC, the success of a CI also depends on the number of SGC available for electrical stimulation. After hair cell loss, these undergo degeneration, which progresses with ongoing deafness. Neurotrophic factors such as glial cell line-derived neurotrophic factor (GDNF) and brain-derived neurotrophic factor (BDNF) as well as electrical stimulation, if applied as single and combined stimuli directly after the onset of deafness, protect SGC from degeneration. Prior to starting this work it was not clear whether SGC degeneration can be slowed down or even stopped if the commencement of therapy is delayed. Apart from the fact that as large a number of vital SGC as possible must be available, good nerve-electrode interaction is of great importance in order to achieve optimum results with a cochlear implant. This can be improved by minimising implantation-related connective tissue growth around the inserted electrode. Due to its well-known antiinflammatory and antiproliferative effects after local application into the inner ear, dexamethasone is potentially suitable to reduce unwanted connective tissue growth around implanted CI electrodes and thus enhances improved nerve-electrode interaction. The aims of this work were the quantitative determination of SGC survival rates and the investigation of cochlear functionality following advanced deafness. In addition, the effect of dexamethasone on the tissue reaction after electrode insertion and on SGC survival following electrical stimulation was to be examined. The following experimental conditions were tested in 49 guinea pigs: - single stimuli: GDNF (100 ng/ml, n=6), BDNF (50 ng/ml, n=6), Dexamethasone (100 ng/ml, n=6), monopolar (AP+ES(M), n=6) and bipolar (AP+ES(B), n=3) electrical stimulation (ES) - combined stimuli: GDNF+ES(M, n=5), BDNF+ES(B, n=5), dexamethasone +ES(M, n=5) - control group: artificial perilymph (AP, n=7) The experiments were conducted while applying the following methods and conditions: - electrophysiological determination of acoustic (AABR) and electrical (EABR) auditory thresholds - microsurgical systemic deafness - implantation of electrode-micropump-systems - pump exchange - recovery of material - histological quantitative determination of SGC densities (number of protected SGC/ 10,000 µm2) Day 0: measurement of the acoustic auditory threshold, deafening; day 5: measurement of the acoustic auditory threshold; day 21: measurement of the acoustic auditory threshold, implantation; day 24: commencement of electrical stimulation (stimulated animals); day 28: measurement of the electrical auditory threshold, adjustment of the stimulator (stimulated animals); day 34: measurement of the electrical auditory threshold, adjustment of the stimulator (stimulated animals), pump exchange; day 41: measurement of the electrical auditory threshold, adjustment of the stimulator (stimulated animals); day 48: measurement of the electrical auditory threshold (stimulated animals), recovery of material, histological preparation of the cochleae, microscopic quantitative determination of the densities of surviving SGC. The results of this work indicate increased SGC survival after GDNF application has been delayed for three weeks (p < 0.01; 1.08 ± 0.76 SGC/ 10,000 µm2) in comparison to the control group (-0.45 ± 0.61 SGC/ 10,000 µm2). BDNF therapy did not result in an increased SGC survival rate (1.10 ± 2.93 SGC/ 10,000 µm2). The comparison of the protective effect of both nerve growth factors showed no difference. Monopolar and bipolar electrical stimulation, if initiated after a delay following the onset of deafness, led to an increased SGC survival rate (p < 0.05, AP+ES(M): 0.74 ± 0.72 SGC/ 10,000 µm2, AP+ES(B): 1.19 ± 0.79 SGC/ 10,000 µm2). The electrical auditory thresholds of the chronically stimulated test group also improved during the experiment. Despite delayed initiation of therapy, the combined therapy consisting of neurotrophic factors and electrical stimulation resulted in a considerably significant synergistic SGC-protecting effect (GDNF+ES: p < 0.001; 2.46 ± 0.76 SGC/ 10,000 µm2); BDNF+ES: p < 0.05; 1.69 ± 0.82 SGC/ 10,000 µm2). This effect was also reflected functionally in a reduction of the electrical auditory threshold during the experiment. Dexamethasone application was not able to prevent postoperative tissue growth but in combination with monopolar electrical stimulation increased SGC survival was detected (p < 0.01; 2.05 ± 1.72 SGC/ 10,000 µm2). Therefore dexamethasone has no negative effect on the SGC-protective effect of the electrical stimulation. These results are innovative and have great potential for clinical application. The experimental conditions chosen correspond to the clinical situation where cochlear implantation is performed after some delay following the onset of deafness. The data gathered suggest that SGC degeneration after the onset of deafness can be positively influenced with delayed therapy. Combined intervention of nerve growth factors and electrical stimulation proved highly suitable to achieve this effect, even more so than the single stimuli. These results are very promising towards future clinical application of electrical stimulation of the auditory nerve induced by a cochlear implant with simultaneous local application of nerve growth factors to increase the implant’s effectivity.
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