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Die Weiterbildung zum Fachtierarzt - zur Fachtierärztin in Deutschland

Heute verfügt der tierärztliche Berufsstand in Deutschland über ein umfangreiches, funktionsfähiges und allgemein akzeptiertes Weiterbildungswesen, das seit Jahrzehnten Gegenstand berufspolitischer Diskussionen und Entscheidungen ist. Die Bundestierärztekammer (BTK) empfiehlt 36 Gebietsbezeichnungen und 22 Zusatzbezeichnungen, eine Subspezialisierung in Form von Teilgebieten ist ebenfalls möglich. Daher ist es bemerkenswert, dass bisher keine umfassende Untersuchung über die Entstehung und Etablierung dieses berufsständischen Weiterbildungswesens existiert. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, basierend auf intensiver Literaturrecherche, der Auswertung von Aktenmaterial der BTK und einem ergänzenden Gespräch mit dem ehemaligen BTK-Geschäftsführer Eberhardt Rösener und Dr. Ute Tietjen, die Entwicklung des deutschen Weiterbildungswesens von seinen zögerlichen Anfängen am Beginn des 20. Jahrhunderts bis zu den aktuellen Geschehnissen nachzuvollziehen. Darüber hinaus wird die Entwicklung der Spezialisierung auf europäischer Ebene dargestellt und erörtert, inwieweit diese Ereignisse das deutsche Weiterbildungssystem beeinflusst haben. Erste sehr zaghafte Anzeichen der Spezialisierung in der tierärztlichen Praxis lassen sich Anfang des 20. Jahrhunderts im Bereich der städtischen Hundepraxis feststellen. Dabei waren Spezialisten in der tierärztlichen Praxis in den ersten zwei Dekaden die seltene Ausnahme. Eine berufspolitische Diskussion des Themas wie in der Humanmedizin zu dieser Zeit gab es nicht. Dementsprechend wurden auch die ersten Reglementierungsversuche des veterinärmedizinischen Spezialistentums in den ersten Standesordnungen der Länder von den humanmedizinischen Vorbildern übernommen. 1920 wurde das Führen eines Fachtierarzttitels in Preußen von einer Genehmigung durch die Tierärztekammer abhängig gemacht und entsprechende Richtlinien über die diesbezüglich von einem Tierarzt zu erfüllenden Voraussetzungen, wurden das erste Mal 1922 vom Preußischen Tierärztekammerausschuss aufgestellt. Die quantitative Auswertung der gestellten Anträge von 1920 bis 1933 ergab, dass der Titel „Fachtierarzt für Sterilitätsbekämpfung“ am häufigsten nachgefragt wurde, um den Tierbestand im Anschluss an den Ersten Weltkrieg zu sichern, gefolgt von dem des „Spezialisten für Hunde“, dessen Inhaber versuchte, von der leidenden Hundewelt in der Großstadt zu existieren. Mit der Schaffung der Berufsordnung von 1937 und dem darin enthaltenen VII. Abschnitt, der die Berechtigung zur Bezeichnung als Fachtierarzt regelte, wurde erstmalig ein geregeltes „Fachtierarztwesen“ geschaffen. Jetzt wurde die Bezeichnung als Fachtierarzt nicht mehr nur von einer Genehmigung abhängig gemacht, sondern die Reichstierärztekammer legte fest, für welche Fachgebiete Fachtierarztbezeichnungen gestattet werden sollten. Sie stellte zudem spezifisch für jedes Gebiet die zu erfüllenden Anforderungen fest, die bindend waren und nicht den Charakter von Empfehlungen hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlief die Geschichte des Fachtierarztwesens in beiden Teilen Deutschlands sehr unterschiedlich. In der DDR wurde 1970 per Anordnung ein staatliches Fachtierarztwesen etabliert. Die „Industrialisierung der Tierproduktion“ in den 1960er Jahren erforderte eine Spezialisierung in der Tiermedizin, zumindest für die wichtigsten Produktionsrichtungen. Innerhalb eines zweijährigen als Fernstudium organisierten postgradualen Studiums, das auch mehrwöchige Intensivlehrgänge an den Sektionen Tierproduktion und Veterinärmedizin der Universitäten Leipzig und Berlin vorsah, wurden die Tierärzte in der DDR planmäßig zu Fachtierärzten ausgebildet. In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Weiterbildung erneut berufsständisch organisiert. Die ersten Vorschriften zur Erteilung von Fachtierarztbezeichnungen wurden bereits 1949 und 1950 in Niedersachsen und in Bayern erlassen, die sich jedoch an den Regelungen der Berufsordnung von 1937 orientierten. Nachdem in den 1950er und 1960er Jahren die neu geschaffenen Tierärztekammern der Bundesländer nach und nach ebenfalls Vorschriften zum Fachtierarztwesen erlassen hatten, wurde 1969 die erste Muster-Weiterbildungsordnung der DT, mit dem Ziel der Angleichung der Weiterbildungsbestimmungen der Länder, verabschiedet. In der Bundesrepublik Deutschland der 1960er und 1970er Jahre begann der tierärztliche Berufsstand, unter dem Eindruck seiner Überfüllung und der existentiellen Nöte in den Nachkriegsjahren und eines sich ankündigenden Strukturwandels in der Tiermedizin, aber mit den Möglichkeiten infolge des Wirtschaftswunders, die Spezialisierung als Notwendigkeit und als Chance zu begreifen. Die Weiterbildung hatte sich als berufspolitisches Thema etabliert. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes betreffend das Facharztwesen verfügte, dass die „statusbildenden Bestimmungen“ zur Weiterbildung in Landesgesetzen zu regeln seien. Infolge dieses „Facharztbeschlusses“ von 1972 musste jede Tierärztekammer neue Bestimmungen zur Weiterbildung aufstellen, basierend auf den nun in den Heilkammergesetzen der Länder enthaltenen Vorgaben, die unter anderem auch die heute übliche Gliederung der Weiterbildung in Gebiete, Teilgebiete und Bereiche vorsahen. Eine Auseinanderentwicklung der Weiterbildungsordnungen der Länder während der 1970er und 1980er Jahre war trotz Muster-Weiterbildungsordnung, die zuvor durchaus eine Angleichung der Bestimmungen bewirkt hatte, die Folge. Daraus ergab sich die Harmonisierung der Weiterbildung als ein bis heute zentrales berufspolitisches Thema. Die diesbezüglichen, bisher nur wenig erfolgreichen Bemühungen der DT/BTK gipfelten in der Weiterbildungskonferenz 1999 und in einer weiteren „Harmonisierungsrunde“ 2004/2005. Daneben war die Entwicklung der Weiterbildung in den 1990er und 2000er Jahren von einem intensiven Bestreben nach einer Anhebung des Niveaus geprägt. Dazu wurden nach und nach Leistungskataloge, die Fortbildungspflicht, Prüfungen auch für Zusatzbezeichnungen sowie, auf Anregung der neuen Bundesländer, ein ergänzendes Weiterbildungskurssystem eingeführt. Eine weitere Neuerung dieser Zeit ist die Weiterbildung aus der eigenen Praxis heraus. Eine andere Möglichkeit der Spezialisierung, die sich Anfang der 1990er Jahre auf europäischer Ebene entwickelt hat und auch deutschen Tierärzten zugänglich ist, ist diejenige im Rahmen des European Board of Veterinary Specialisation. In Deutschland absolvieren zunehmend Tierärzte die anspruchsvolle Weiterbildung der European Colleges und erhalten den Titel eines European Diplomate. Die parallele Existenz dieses Systems und des Fachtierarztwesens in Deutschland ist unumkehrbar und jedem Diplomate wird es gestattet, seinen Titel zu führen. Damit sind die europäischen Spezialisten-Colleges fester Bestandteil der deutschen tierärztlichen Spezialisierungslandschaft geworden. Dennoch begehren zumindest einige dieser Kollegen in Deutschland gleichzeitig die Anerkennung als Fachtierarzt, basierend auf der geleisteten Weiterbildung innerhalb der Colleges. Ob und in welcher Form dies ermöglicht werden soll, ist aktuell Gegenstand der berufpolitischen Debatte, die in der vorliegenden Arbeit geschildert wird. Während 1963 gerade einmal 1,4 % der Tierärzte als Fachtierarzt anerkannt waren, führten im Jahr 2009 insgesamt 22,4 % eine entsprechende Bezeichnung. Dennoch ist, bei zunehmender Beliebtheit der Zusatzbezeichnungen, der Anteil der Fachtierärzte an der Tierärzteschaft rückläufig. Damit auch in Zukunft in ausreichendem Maße Tierärzte die anspruchsvolle Weiterbildung zum Fachtierarzt auf sich nehmen und diese Bezeichnung, womöglich zugunsten der durchaus sinnvollen Zusatzbezeichnungen, keinen Schaden nimmt, sollte neben der bereits begonnenen Schaffung von Alternativen zur klassischen Weiterbildungsstätte, ein besonderes Augenmerk auf die Arbeitssituation junger Tierärzte gelegt werden. Trotz der nur mäßigen bisherigen Erfolge der Bemühungen um die Harmonisierung des Weiterbildungswesens sollte im Interesse der sich weiterbildenden Tierärzte an der Forderung eines weitgehend harmonisierten Weiterbildungswesens unbedingt festgehalten werden. Vielleicht ist es zukünftig möglich, diesem Ziel durch die Harmonisierung auf der Ebene der Kooperation benachbarter Kammerbereiche, wie die Mitteldeutschen Kammern es bereits praktizieren, näher zu kommen als bisher.

Today, the veterinary profession in Germanypossesses a comprehensive, workable and widely accepted postgraduate education system, which has been the subject of professional discussions and decisions over decades. The Federal Chamber of Veterinary Surgeons (Deutsche Tierärzteschaft/Bundestierärztekammer e. V., DT/BTK) recommends 36 field names and 22 additional names, a sub-specialisation in the form of sub-areas is also possible. Therefore, it is remarkable that there is no comprehensive study on the origin and establishment of this professional postgraduate education system so far. The aim of the work presented is, based on intensive literature review, the analysis of documentary material of the BTK and an additional interview with the former BTK-secretary Eberhardt Rösener and Dr. Ute Tietjen, to comprehend the development of the German postgraduate education system from its tentative beginnings in the early 20th century until the current events. Furthermore, the development of specialisation at the European level is presented and discussed, to what extent these events have influenced the German postgraduate education system. First very tentative signs of specialisation in the veterinary practice can be noticed at the beginning of the 20th century in the field of urban dog practice. Though specialists in veterinary practice were the rare exception in the first two decades a professional discussion of the topic, as in human medicine at that time, did not exist. Accordingly, the first attempts at regimentation of veterinary specialisation in the first professional codes of the German countries have been adopted from the medical models. In 1920, holding a veterinary specialist title in Prussia was subject to approval from the Veterinary Association and appropriate guidelines with regard to the conditions to be met by a veterinarian, were established for the first time by the Prussian Veterinary Association Board in 1922. The quantitative evaluation of the applications submitted from 1920 until 1933 showed that the title "veterinary specialist for sterility control" was in demand most often to secure the livestock after the First World War, followed by that of the "specialists for dogs", the holder of which tried to exist by the suffering dog world in the cities. With the creation of the Veterinary Association’s professional code of conduct of 1937 and the embodied Section VII, which governed the authority to designate as a veterinary specialist, the first kind of an organised "veterinary specialism" was established. Now, the designation as a veterinary specialist was not only subject to approval, but the National Veterinary Association (Reichstierärztekammer) also stipulated the veterinary fields, for which specialised veterinary field names should be permitted. They also defined specifically for each field, the requirements to be met that were binding and did not have the character of recommendations. After the Second World War the history of veterinary specialisation was very different in both parts of Germany . In the GDR a state veterinary postgraduate system was established by official order in 1970. The industrialisation of livestock production in the 1960s required a specialisation in veterinary medicine, at least for the main production lines. In a two-year program, organised as a postgraduate correspondence course, which included several weeks of intensive courses at the Sections for Animal Production and Veterinary Medicine of the Universities of Leipzig and Berlin, the veterinarians in the GDR were systematically educated to be veterinary specialists. In the Federal Republic of Germany, the postgraduate training was organised again by the profession. The first rules on the issue of veterinary specialist designations were adopted in Lower Saxony and Bavaria in 1949 and 1950, which, however, were oriented to the rules of the Veterinary Association’s professional code of conduct of 1937. After the newly created veterinary associations of the federal states gradually also had adopted provisions for the veterinary specialisation in the 1950s and 1960s, in 1969 the first model regulations of the DT were adopted with the objective of aligning the training requirements of the federal states. In the Federal Republic of Germany of the 1960s and 1970s the veterinary profession began to understand, under the impact of its overcrowding and the existential needs in the postwar years, and the expected structural changes in veterinary medicine, but with the opportunities as a result of the economic miracle, the specialisation as a necessity and an opportunity. The postgraduate education was established as a professional topic. A decision by the Federal Constitutional Court concerning the medical specialisation enacted the "status-forming provisions” to determine postgraduate education in federal state laws. As a result of this "specialist decision” of 1972 any Veterinary Association had to set new provisions for postgraduate training, based on the guidelines now embodied in the laws of the federal states, which included today’s typical arrangement of training in areas, sub-areas and additional areas. Divergences in postgraduate education systems of the federal states during the 1970s and 1980s followed, despite the model-regulations of the DT, which had previously caused quite an approximation of the provisions. This resulted in the harmonisation of education as a central professional theme until today. The relevant rather unsuccessful efforts of the DT/BTK culminated in the postgraduate training conference in 1999 and a further "harmonisation round" of 2004/2005. In addition, the development of education in the 1990s and 2000s was characterised by an intense desire for an increase in the level. For this purpose performance lists, the obligation to continuing education, examinations for additional areas and, introduced at the suggestion of the new federal states, an additional training course system were gradually adopted. Another innovation at that time was the postgraduate training in one’s own practice. Another way of specialisation that evolved at the European level in the early 1990s is available for German veterinarians within the scope of the European Board of Veterinary Specialisation (EBVS). In Germany , veterinarians are increasingly passing the ambitious training programs of the European Colleges and receive the title of an European Diplomate. The parallel existence of this EBVS-system and the German professional veterinary postgraduate education system in Germanyis irreversible, and each Diplomate will be allowed to use his title. Thus the European Specialist Colleges have become an integral part of the German veterinary specialisation landscape. However, at least some of these colleagues in Germanydesire simultaneously the recognition as a veterinary specialist (“Fachtierarzt”), based on the pass of the training programs of the European Colleges. Whether and in what form this will be possible is currently the subject of professional political debate, which is described in the work presented. While in 1963 only 1.4 % of the veterinarians were recognised as a veterinary specialist, in 2009 22.4 % of the veterinarians had such a title. Nevertheless, with increasing popularity of the additional names, the proportion of specialist veterinarians (“Fachtierärzte”) in the veterinary profession is in decline. In order that also in future veterinarians will shoulder the demanding veterinary postgraduate education in a sufficient quantity and this “Fachtierarzt”-title will not be harmed, probably in favor of the very useful additional names, a special attention should be laid to the work situation of young veterinarians, in addition to the already commenced creation of alternatives to the traditional postgraduate education center (“Weiterbildungsstätte”). Despite the only moderate success of previous efforts to harmonise the postgraduate education system, the profession should absolutely adhere to the objective of a largely harmonised education system in the interests of veterinarians in training. Perhaps it will be possible in future to come closer to this target by the harmonisation at the level of cooperation of adjacent chamber areas, such as it is already practical experience in the Middle German Chambers.

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