Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo)TiHo eLib

Zur Morphologie und Vererbung des Polydaktylie-Luxations-Syndroms bei dem Wistar-Rattenstamm Shoe:WIST(Shoe)

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, spontan durch Mutation bei dem Laborrattenstamm Shoe:WIST(Shoe) aufgetretene Fehlbildungen der Hintergliedmaßen hinsichtlich Morphologie und Vererbung zu charakterisieren und in Bezug auf ihre Eignung als Tiermodell mit entsprechenden kongenitalen Fehlbildungen des Menschen und bereits vorhandenen Tiermodellen zu vergleichen. Für die morphologischen Untersuchungen wurden die zur Verfügung stehenden Ratten nach Inzuchtregeln weitergezüchtet und insgesamt 107 Tiere verschiedenen Alters nach Euthanasie makroskopisch und röntgenologisch untersucht. Unter Verwendung eines Mammografiesystems wurden konventionelle Röntgenaufnahmen in verschiedenen Ebenen angefertigt, durch die sowohl ein Überblick über das gesamte Skelett als auch Details der Hinterextremitäten dargestellt werden konnten. Für die Auswertung wurden die morphologischen Befunde von Patella, Crus, Tarsus, Metatarsus und Digiti in an humane Klassifikationen angelehnte Beurteilungsklassen eingeteilt und hinsichtlich Häufigkeit, Seiten- und Geschlechtsdisposition analysiert. Zur Klärung des Erbganges wurden reziproke Kreuzungen mit Lewis-Ratten und mit den so erhaltenen Tieren der F1-Generationen reziproke Rückkreuzungen auf die Parentalstämme durchgeführt. Die daraus hervorgegangenen Nachkommen wurden auf das Vorliegen eines rezessiven Erbganges und eine mögliche Geschlechtsgebundenheit getestet. Die Fehlbildungen der untersuchten Ratten beschränkten sich ausschließlich auf Zeugo- und Autopodium der Hintergliedmaßen. Die Patella war als am weitesten proximal liegende Struktur nur vereinzelt von Hypoplasien oder Dislokationen betroffen, wohingegen bei über Dreiviertel der untersuchten Unterschenkelknochen Fehlbildungen festgestellt wurden. Dabei wies die Hälfte der untersuchten Gliedmaßen lediglich eine Diastase von Tibia und Fibula auf. Die relativ seltener vorkommenden höhergradigen Veränderungen wurden in Form von Krümmungen und Verkürzungen beider Unterschenkelknochen sowie als Abknickungen, Knochendefekte und Aplasien im Bereich der distalen Tibia nachgewiesen. Diese Veränderungen gingen in der Regel mit Subluxationen oder Luxationen des Talokruralgelenkes und Fußfehlstellungen der betroffenen Tiere einher. Tibiofibuläre Diastase und distale Tibiaaplasie entsprachen morphologisch der kongenitalen Tibiahemimelie des Menschen, während die übrigen Fehlbildungen sich der humanen kongenitalen Tibiakrümmung und -pseudarthrose zuordnen ließen. Im Bereich des Tarsus konnten Veränderungen der proximalen Reihe sowie der distalen und mittleren Reihe unterschieden werden. Sowohl die bei fast allen Gliedmaßen auftretenden Deformationen und Veränderungen im Stellungswinkel des Talus als auch die seltener vorkommenden Verformungen des Calcaneus wurden auf die durch die Anomalien des Zeugopodiums verursachten Fußfehlstellungen zurückgeführt. Die regelmäßig vorhandenen Fehlbildungen der distalen und mittleren Reihe des Tarsus waren durch Aplasien der medial liegenden Knochen Os tarsi tibiale und Os tarsale primum, das Vorkommen eines zusätzlichen medialen Os tarsale sowie Deformationen und Synostosen der übrigen Knochen charakterisiert. Diese Veränderungen sind mit entsprechenden Tarsusanomalien des Menschen und der Maus vergleichbar und treten dort im Rahmen von Polydaktylien auf. Die bei einem Viertel bzw. über der Hälfte der ausgewerteten Gliedmaßen nachgewiesenen Verkürzungen und Verformungen der Metatarsalia wurden auf die Fehlbildungen des Zeugopodiums zurückgeführt. Das Vorliegen einer distalen Epiphysenfuge am juvenilen Metatarsale primum wurde gemeinsam mit der bei fast allen ausgewerteten Gliedmaßen vorliegenden Triphalangie der ersten Zehe dem Typ II bzw. III der humanen präaxialen Polydaktylie zugeordnet. Neben dieser Form der präaxialen Polydaktylie konnten bei den untersuchten Ratten zudem verschiedene Typen präaxialer und zentraler Zehenduplikationen mit einer Gesamtzahl von bis zu sieben Zehen nachgewiesen werden. Deren Ausprägung variierte von rudimentär bis hin zu einer vollständigen Zehenverdopplung. Der Anteil der fünfzehigen Gliedmaßen sowie der unvollständig ausgeprägten Duplikationen überwog jedoch, so dass hier im Vergleich mit anderen Ratten- und Mausmodellen eine gering ausgeprägte Form der Polydaktylie vorlag. Die beteiligten Skelettelemente traten in sieben verschiedenen Kombinationen auf, und in einigen Fällen lagen Synostosen der Duplikationen mit benachbarten Zehen vor. An einigen wenigen Gliedmaßen konnte eine tibiale Oligodaktylie nachgewiesen werden. Insgesamt betrachtet lagen die Fehlbildungen stets beidseitig, jedoch in unterschiedlicher Ausprägung vor, wobei für einzelne Merkmale eine Seitendisposition bestand. So traten die höhergradigen Anomalien im Bereich des Tarsalgelenkes tendenziell und signifikant häufiger rechtsseitig auf, was mit der Tibiahemimelie des Menschen und entsprechenden Modellen bei der Maus übereinstimmt. Hingegen war die linke Hintergliedmaße signifikant häufiger von Sechs- und Siebenzehigkeit betroffen. Eine männliche Geschlechtsdisposition ließ sich für Fehlbildungen des Zeugopodiums insgesamt und im Besonderen für mittelgradige Veränderungen in Form von Krümmungen und Verkürzungen nachweisen. Zudem waren Männchen signifikant häufiger von Verformungen der Metatarsalia betroffen. Weitere Untersuchungen an einer höheren Anzahl luxierter Gliedmaßen könnten Aufschlüsse über eine mögliche Übereinstimmung mit einem anderen, von einem ähnlichen Krankheitsbild betroffenen Rattenstamm liefern, bei dem männliche Tiere häufiger von Luxationen betroffen sind. Die reziproken Kreuzungen ergaben ausschließlich Nachkommen ohne Fehlbildungen. Dies und die Aufspaltung der N2-Generation der reziproken Rückkreuzungen bestätigen die Hypothese eines autosomal rezessiven Erbganges. Die Fehlbildungen wurden mit vollständiger Penetranz vererbt, ein parentaler Einfluss ließ sich nicht nachweisen. Verglichen mit aus der Literatur bekannten Rattenstämmen, die Polydaktylien und Unterschenkelfehlbildungen aufweisen, wurde der Phänotyp der hier untersuchten Shoe:WIST(Shoe)-Ratten in dieser Form und Ausprägung noch nicht beschrieben. Es konnten morphologisch und genetisch vor allem Übereinstimmungen mit dem „polydactyly-luxate syndrome“ (lx) der Ratte festgestellt werden, so dass weitere Untersuchungen für eine Abgrenzung zu dieser Mutation notwendig wären. Mit dem hier untersuchten Polydaktylie-Luxations-Syndrom steht ein weiteres Tiermodell für verschiedene humane Gliedmaßenfehlbildungen zur Verfügung.

The aim of this study is to characterize malformations of the hind limbs that occurred spontaneously due to mutation in the laboratory rat strain Shoe:WIST(Shoe) with regard to morphology and inheritance. Additionally, it will be analyzed whether these malformations can be used as an animal model by comparison to corresponding congenital human malformations and existing animal models. For morphological examinations, the available rats were first propagated according to inbreeding rules. From the resulting offspring, 107 animals of different age were examined macroscopically and radiographically after euthanasia. Mammography cassettes and films were used to create conventional radiographs in various projections. These provided an overview of the entire skeleton as well as a detailed view of the hind limbs. For evaluation, the morphological findings of patella, crus, tarsus, metatarsus and digits were categorized in evaluation classes similar to human classifications. The results were analyzed according to frequency and disposition for body side and sex. The inheritance was determined by reciprocal crosses with Lewis rats and reciprocal backcrosses of the resulting F1 animals with the parental strains. The resulting offspring was tested for recessive inheritance and possible sex-linkage. The deformities of the examined rats were limited to zeugopodium and autopodium of the hind limbs only. Being the affected structure with the furthest proximal location, the patella was altered only sporadically by hypoplasia or dislocation whereas more than three quarters of the examined lower leg bones were malformed. Half of the examined limbs showed a diastasis of tibia and fibula only. Deformities of a higher degree were found more rarely in form of bowings and shortenings of both tibia and fibula and in form of angulations, bone defects and aplasias at the distal part of the tibia. In general, these deformities occurred together with subluxations or luxations of the talocrural joint and foot malposition of the affected animals. Morphologically, the tibiofibular diastasis and distal aplasia of the tibia corresponded to human congenital tibial hemimelia whereas the remaining malformations could be categorized as human congenital tibial bowing and pseudarthrosis. In the tarsus, alterations of the proximal row as well as of the distal and the middle row could be differentiated. Both the deformations and changes of the posture angle of the talus existing in most of the limbs as well as the more rarely occurring deformations of the calcaneus could be traced to the malposition of the feet caused by the anomalies of the zeugopod. Regularly occuring malformations of the distal and middle row of the tarsus were characterized by aplasias of the medial bones os tarsi tibiale and os tarsale primum, by the existence of an additional medial os tarsale, and by deformations and synostoses of the remaining bones. These changes can be compared to corresponding tarsus anomalies of man and mouse which in both cases occur with polydactylies. The detected shortenings and deformations of the metatarsals that occurred in one quarter and in more than half of the evaluated limbs, respectively, were traced to zeugopod malformations. Together with the triphalangia found in almost all of the evaluated limbs the distal epiphyseal growth plate on the juvenile os metatarsale primum of the first digit was assigned to type II or III of human preaxial polydactyly. In addition to this form of preaxial duplication, various types of preaxial and central polydactyly with a total amount of up to seven toes were detected for the examined rats. Their expression varied from rudimentary to complete digit duplication. However, the share of five-toed limbs and of incompletely developed duplications predominated. Thus, this was a rather mild form of the polydactyly compared to other rat and mouse models. There were seven different combinations of the affected skeleton elements. In some cases, synostoses of the duplications with adjacent toes occurred. On only a few limbs, a tibial oligodactyly was detected. Overall, malformations always occurred on both sides, however, with different characteristics. For some traits, a side disposition was detected. The higher-level anomalies of the tarsal joint appeared tendentially and significantly more often on the right-hand side, corresponding to human tibial hemimelia and respective mouse models. On the left hind limb, however, six or seven digits appeared more often. A male sex disposition was detected for zeugopod anomalies in general and for moderate changes in form of bowings and shortenings in particular. In addition, males were affected more frequently by metatarsal deformations. Further examinations on a higher number of luxated limbs could give some information about a possible accordance with a different rat strain showing similar symptoms in the lower leg. In this strain, males are more often affected by luxations than females. The reciprocal crossing exclusively resulted in offspring without any malformations. This and the splitting of the N2 generation of the reciprocal backcrosses confirm the hypothesis of autosomal recessive inheritance. The malformations were inherited with complete penetrance; a parental influence was not detected. Compared to rat strains that are known to show polydactyly and lower leg deformities, the phenotype of the Shoe:WIST(Shoe) rats has not yet been described in this form. Morphologically and genetically, most similarities were detected with the „polydactyly-luxate syndrome“ (lx) of the rat. Hence, for a distinction of this mutation, further examinations would be required. The Polydactyly luxate syndrome of the Shoe:WIST(Shoe) rats which was examined here provides another animal model for various human limb malformations.

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