Untersuchung zur Stressbelastung von Robben (Pinnipedia) und Rindern
Eine länger anhaltende oder in kurzen Abständen wiederkehrende Stresssituation kann zu einer chronischen Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-(HPA) Achse führen. Eine solche chronische Belastung, zum Beispiel durch umweltbezogene, haltungsbedingte oder anthropogene Stressoren, kann dabei neben einer fehlgeleiteten Stressantwort auch eine Überbelastung der Adaptationsmechanismen nach sich ziehen. Neben physiologischen können so auch pathologische Veränderungen im Rahmen einer chronischen Stressantwort auftreten, die aufgrund der Interaktionen des neuroendokrinen und immunologischen Systems außerdem mit einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit assoziiert sein können (Besedovsky und Rey 1996, McEwen und Wingfield 2003). Traditionell wird die Bestimmung von Cortisol in Blutproben als häufigste Messmethode zur Evaluation der Stressauswirkung verwendet. Hierbei kann allerdings bereits die Manipulation zum Zweck einer Probenentnahme, gerade bei marinen Wildtieren oder auch landwirtschaftlichen Nutztieren, zu einem akuten Anstieg der Cortisolwerte führen (Mormède et al. 2007, Sheriff et al. 2011). In der Humanmedizin gewinnt zunehmend die Analyse des Steroidhormons Dehydroepiandrosteron (DHEA) zur besseren Unterscheidung einer akuten von einer chronischen Stresssystemaktivierung an Bedeutung. Während einer länger anhaltenden Stresssytemaktivierung kann hierbei, aufgrund des gemeinsamen Bildungswegs von DHEA und Cortisol aus dem Vorläuferhormon Pregnenolon, neben einer Steigerung der Cortisolkonzentrationen auch eine zeitgleiche Abnahme der DHEA-Werte beobachtet werden (Parker et al. 1985, Guilliams und Edwards 2010). In der vorliegenden Dissertation wurden daher mögliche Unterschiede der Cortisol-, DHEA- und DHEAS-Konzentrationen zwischen unterschiedlichen Untersuchungsgruppen bei zwei verschiedenen Tierspezies, Robben und Milchkühen, evaluiert. Ziel war es diese Parameter bei erkrankten Robben und Milchkühe zu messen und somit gegebenfalls Rückschlüsse auf eine zuvor stattgefunde chronische Stresssystemaktivierung mittels der Cortisol-, DHEA- und DHEAS-Konzentrationen und auch des Cortisol/DHEA-Quotienten ziehen zu können. Darüber hinaus sollte der Einsatz dieser Parameter als Bestandteil eines speziesübergreifenden Belastungsindex, zur Einschätzung des Einflusses einer chronischen Stressbelastung auf den Organismus, evaluiert werden. Im ersten Hauptteil der vorliegenden Arbeit wurden dazu zwei unterschiedliche wild- und in menschlicher Obhut lebende Robbenarten beprobt. In einer ersten Studie erfolgte die Beurteilung des Einsatzes von Tränenflüssigkeit und Speichel als alternative, situationsunabhängige Untersuchungsmaterialien zur Cortisolbestimmung bei freilebenden Seehunden und an den menschlichen Umgang habituierten Robben. Hierbei sollte geprüft werden ob ein bereits bei Menschen und auch bei Rindern festgestellter zeitverzögerter Anstieg der Cortisolkonzentrationen im Speichel und der Tränenflüsigkeit (Banbury 2009, Khraim 2011, Hernandez et al. 2014) ebenfalls bei den untersuchten Robben nachgewiesen werden kann. Die Untersuchungen ergaben dabei eine deutliche Korrelation zwischen den Cortisolkonzentrationen im Serum und der Tränenflüssigkeit (R2=0.82, P< 0.01) wie auch eine belastbare Korrelation zwischen den Speichel- und Tränenflüssigkeitsergebnissen (R2=0.68, P< 0.05) sowie zwischen den Speichel- und Serumwerten (R2=0.60, P< 0.05) der freilebenden Seehunde. Aufgrund der deutlichen Korrelation der Cortisolwerte im Serum und in der Tränenflüssigkeit scheint letztere ebenfalls die durch die Probenentahme beeinflusste Cortisolkonzentration abzubilden, so dass die Entnahme von Tränenflüssigkeit demnach keine situationsunabhängige Alternative zur Blutprobenentnahme darzustellen scheint. Hingegen könnte die moderate Korrelation der Speichel- und Serumcortisolwerte auf den bei anderen Tierarten nachgewiesen zeitverzögerten Anstieg der Cortisolwerte hinweisen. Die Speichelprobenentnahme könnte somit eine neue Möglichkeit zur Feststellung der eigentlichen, von der Manipulation unbeeinflussten Stressreaktion bei Robben widerspiegeln. Im zweiten Hauptteil erfolgte die Beurteilung möglicher Unterschiede der Cortisol-, DHEAS- und DHEA-Konzentrationen zunächst bei an den menschlichen Umgang habituierten sowie bei gesunden und erkrankten freilebenden Robben. Hierbei wurde hypothetisch angenommen, dass die in menschlicher Obhut lebenden Robben keiner, die freilebenden gesunden Seehunde durch die Probenentnahme hingegen einer akuten Stressbelastung und die Gruppe der freilebenden erkrankten Seehunde einer chronischen Stresssystemaktivierung ausgesetzt waren. Neben der Einschätzung des Gesundheitzustands anhand einer allgemeinen beziehungsweise postmortalen Untersuchung erfolgte die Bestimmung eines kleinen Blutbildes, sowie die Analyse von Cortisol, DHEAS und DHEA aus den gewonnenen Blutproben. Die habituierten Robben zeigten hierbei deutlich geringere Cortisolwerte (P< 0,01) verglichen mit beiden Wildtiergruppen, wohingegen die Konzentrationen zwischen den gesunden und erkrankten Wildtieren vergleichbar waren. Zudem konnte kein signifikanter Unterschied der DHEAS-Werte zwischen den untersuchten Gruppen nachgewiesen werden. Allerdings wiesen die erkrankten, wildlebenden Seehunde numerisch niedrigere DHEA-Konzentrationen sowohl im Vergleich zu den habituierten als auch signifikant niedrigere Werte verglichen mit den gesunden, wildlebenden Robben (P< 0,05) auf. Außerdem konnte ein deutlich höherer Cortisol/DHEA-Quotient der erkrankten Wildtiere im Vergleich zu den habituierten Robben festgestellt werden (P< 0,001). Auch der aus dem Ernährungszustand und den Cortisolwerten im Bezug zu den DHEA- und IGF-I-Konzentrationen errechneten Stressindex ergab den höchsten Wert in der Gruppe der erkrankten, freilebenden Seehunde. Es könnte somit spekuliert werden, dass entweder eine möglicherweise chronische Stresssystembelastung zu einer Beeinflussung des Gesundheitszustands der erkrankten, freilebenden Seehunde geführt haben könnte oder aber der schlechte Gesundheitszustand selbst als ein zusätzlicher Stressor fungierte. Das Steroidhormon DHEA wie auch das Verhältnis von Cortisol und DHEA scheinen somit ein verlässliches Hilfsmittel für die Einschätzung einer chronischen Aktivierung des Stresssystems bei Seehunden und Kegelrobben darzustellen. Unter der Annahme, dass eine chronische Stressbelastung zu einer höheren Inzidenz von entzündlichen Produktionserkrankungen in der postpartalen Phase führen kann (Ingvartsen 2006, Mulligan und Doherty 2008), wurde erstmals mögliche Unterschiede der Cortisol-, DHEA- und DHEAS-Konzentrationen vergleichend bei gesunden und an einer Metritis erkrankten Milchkühen postpartum analysiert. Hierzu wurden neben der Durchführung einer allgemeinen und speziellen gynäkologischen Untersuchung ebenfalls Blutproben von den gesunden und an einer Metritis erkrankten Kühe entnommen. Neben den endokrinologischen Analysen von Cortisol, DHEAS und DHEA erfolgte die Bestimmung der Gesamtleukozytenzahl zur Beurteilung der Aktivität der zellulären Immunantwort der untersuchten Milchkühe. Anhand der festgestellten Leukozytenzahlen wurden die erkrankten Milchkühe in zwei weitere Untergruppen eingeteilt: Metritis mit einer Leukozytenzahl innerhalb des Referenzbereich oder Metritis mit einer Leukopenie. Die Cortisol- wie auch die DHEAS-Werte waren vergleichbar zwischen den drei Untersuchungsgruppen. Allerdings wiesen die erkrankten, leukopenischen Milchkühen höhere DHEA-Konzentrationen im Vergleich zu den gesunden Kühen (P< 0,05) auf. Des Weiteren konnte bei den erkrankten, leukopenischen Kühen der niedrigste Cortisol/DHEA-Quotient festgestellt werden. Hieraus konnte geschlussfolgerte werden, dass die höheren DHEA-Konzentrationen bei den erkrankten, leukopenischen Milchkühen eher einen endokrinen gegenregulatorischen Prozess, im Zuge der in der Literatur beschriebenen immunmodulatorischen und –protektiven Wirksamkeit von DHEA widerspiegeln könnten. Diese Schlussfolgerung wird auch durch den niedrigen Stressindex der erkrankten, leukopenischen Milchkühe, welcher aus dem BCS, dem Verhältnis der Cortisol- und DHEA-Konzentrationen zueinander sowie dem metabolischen Marker IGF-I berechnet wurde, untermauert. Der Cortisol/DHEA-Quotient könnte, aufgrund der vermeintlich antagonistischen Wirkung dieser beiden adrenalen Hormone auf das Immunsystem, in zukünftigen Studien als prognostisches Hilfsmittel für die Einschätzung des Verlaufs einer Erkrankung verwendet und sollte in weiteren Arbeiten verfolgt werden. In Rahmen dieser Arbeit konnten Hinweise für die unterschiedlichen Eigenschaften sowie Interaktionen des Steroidhormones DHEA mit dem Stress- und Immunsystem bei zwei verschiedenen Säugetierarten gefunden werden. Aufgrund dieser bei den untersuchten Tierarten festgestellten divergierenden Wirkungen von DHEA scheint allerdings die Etablierung eines speziesübergreifenden Belastungsindex aus den erhobenen Daten nicht geeignet für eine verlässliche Einschätzung einer chronischen Stressbelatung. Allerdings könnte der Cortisol/DHEA-Quotient bei den untersuchten Tierarten helfen eine mögliche Fehlregulation, wie auch den Einfluss der HPA-Achse auf die Funktion des neuro–immun–endokrinen Netzwerks objektiv und belastbar abzubilden.
A prolonged or rapidly recurring stress exposure may lead to a chronic activation of the hypothalamic-pituitary-adrenal-(HPA) axis. Such a chronic stress exposure, for example due to environmental or anthropogenic stressors, may result in a misguided stress response as well as an overload of the adaptive mechanisms. As a consequence, physiological and also pathological changes may occur, which can also be associated with an increased susceptibility to disease (Besedovsky und Rey 1996, McEwen und Wingfield 2003). Determination of cortisol is considered to be the traditional method of choice to assess a stress exposure. However, levels of cortisol might be influenced by handling while gaining samples, especially in marine wildlife and livestock animals (Cook et al. 2000, Mormède et al. 2007). Thus, in human medicine the assessment of the steroid hormone dehydroepiandrosterone (DHEA) has become more and more important to differentiate between an acute and chronic stress response. It could be shown that a chronic hyperresponsivness of the HPA-axis causes on the one hand a decrease of the DHEA concentrations, whereas an increased production of cortisol from the common precursor hormone pregnenolone occurs (Parker et al. 1985, Guilliams and Edwards 2010). Therefore, possible differences regarding the cortisol-, DHEA- and DHEAS- concentrations were assessed in two different mammalian species in the present study. The aim was to measure the cortisol-, DHEA-, DHEAS-concentrations as well as the cortisol/DHEA-ratio in diseased seals and dairy cows in order to assess a potentially occuring chronic activations of the stress system. Moreover, these parameters were evaluated as part of a multi-species stress index for the evaluation of the impact of a chronic stress exposure on the organism. In the first part of this study, cortisol was determined in lachrymal fluid and saliva as alternative sampling materials in wild seals as well as seals being habituated to human handling. In earlier studies in humans and cattle the use of saliva and lachrymal fluid was already evaluated as a possible alternative sampling material (Banbury 2009, Khraim 2011, Hernandez et al. 2014). According to these studies the rise of cortisol shows a time lag in saliva respectively lachrymal fluid compared to serum. Therefore it was tested whether similar conditions can also be found in harbor and gray seals. Regression analyses revealed a reliable correlation between serum cortisol and the cortisol concentration in lachrymal fluid (R2=0.82, P< 0.01), whereas concentrations in saliva and tears (R2=0.68, P< 0.05) as well as between saliva and serum (R2=0.60, P< 0.05) displayed moderate correlations. Based on these findings cortisol concentrations in lachrymal fluid may rather represent increased cortisol values influenced by restraint and handling. However, the moderate correlation between saliva and serum cortisol concentrations may indicate a time-delayed increase of cortisol in the saliva samples of these pinnipeds. Thus, sampling of saliva may present a situation independent alternative for the assessment of cortisol in different seal species. In the second part of the present study, possible differences of the cortisol-, DHEAS- and DHEA-concentrations were examined in seals living in human care as well as healthy and diseased, free-ranging seals. This investigation was based upon the hypothesis that habituated seals do not experience stress due to the sampling procedure in contrast to healthy, free-ranging seals. Moreover, it was assumed that diseased, free-ranging seals were exposed to chronic stress before the sampling took place. At the beginning, the health status was assessed based on a general respectively postmortem examination and the determination of blood cell counts. In addition, cortisol-, DHEAS- and DHEA-concentrations were analyzed. The habituated seals showed significantly lower cortisol levels (P< 0.01) compared to both free-ranging seal groups. However, cortisol concentrations of the healthy free-ranging seals were similar to those of the diseased, free-ranging harbor seals. The DHEAS values were also similar between the three study groups. The free-ranging, diseased harbor seals showed the lowest DHEA concentrations compared to the healthy, free-ranging seal group (P< 0.05). In addition, the diseased, free-ranging seals displayed a higher cortisol/DHEA-ratio compared to the habituated seals (P< 0.001). Also regarding the calculated stress index, based on the relationship between the nutritional status and cortisol values compared to the DHEA- and IGF-I-concentrations, the group of the diseased, free-ranging harbor seals revealed the highest value. It may therefore either be assumed that a chronic stress exposure may possibly have influenced the health status of the diseased, free-ranging seals or that the poor health status may have triggered a stress response itself. However, the steroid hormone DHEA and the cortisol/DHEA-ratio seem to represent reliable tools for the assessment of a chronic stress response in harbor and gray seal. Based on the assumption that a chronic stress exposure causes a higher incidence of inflammatory reproduction diseases in the postpartal period (Ingvartsen 2006, Mulligan und Doherty 2008) differences of the cortisol-, DHEAS- and DHEA-concentrations were analyzed comparing healthy cows and those suffering from a postpartal metritis. For this purpose each cow had to undergo a clinical and gynecological examination of the uterus and ovaries as well as the evaluation of possible vaginal discharge. Furthermore, blood samples were gained for endocrinological analyses. Also a determination of leukocyte number was conducted in order to assess the activity of the cellular immunity. According to the results of leukocyte counts the examined cows were subcategorized as healthy, suffering from metritis with normal number of leukocytes (Mrange, 5-10 x 106/μl) or with leucopenia (Mlow,< 5 x 106/μl). As a result, concentrations of cortisol and DHEAS could be compared between the three study groups. Nevertheless, leucopenic cows suffering from metritis showed higher DHEA concentrations than the healthy cows (P< 0.05). Furthermore, the leucopenic, diseased cows revealed the lowest cortisol/DHEA-ratio. It can therefore be speculated that the higher DHEA values of the Mlow cows may possibly reflect the immunomodulatory and -protective characteristics of DHEA which has been described in the literature. Higher DHEA concentrations may therefore function as a hormonal counter regulation in order to maintain a balance between the opposite effects of cortisol and DHEA on the immune system. This conclusion is also supported by the low stress index of the leucopenic, diseased cows calculated from the relationship between the body condition score and cortisol concentrations compared to the DHEA- and IGF-I- values. Based on the potential antagonizing effects of the assessed adrenal hormone, the cortisol/DHEA-ratio may represent a prognostic tool for the evaluation of the course of disease. In the present study several evidence could be found for the different effects and interactions of the steroid hormone DHEA with the stress and immune system regarding the two investigated mammalian species. As a consequence, the establishment of a multi-species stress index based on these diverging and not completely comparable results does not seem to be an appropriate tool for an objective and reliable assessment of a potential chronic stress exposure. The cortisol/DHEA-ratio though may help to evaluate the impact of the HPA-axis on the function of the neuro-immune-endocrine network.
Preview
Cite
Access Statistic

Rights
Use and reproduction:
All rights reserved