Telemetrische Überwachung zur Belastungsbeurteilung in Mausmodellen für Stress und chronisch entzündliche Darmerkrankungen
Das Wohlergehen von Versuchstieren hat in den letzten Jahrzenten kontinuierlich sowohl in der Gesellschaft als auch in der tierexperimentellen Forschung einen deutlich höheren Stellenwert erlangt. Dies spiegelt sich auch in der Gesetzgebung wider: Laut der EU-Richtlinie 2010/63 ist im Tierversuchsantrag die zu erwartende Belastung der Versuchstiere prospektiv einzuschätzen. Außerdem muss während der Versuchsdurchführung der tatsächliche Schweregrad für jedes einzelne Tier erfasst und dokumentiert werden. Die Belastungsbeurteilung bei Versuchstieren umfasst die Einschätzung und das Erkennen von Schmerzen, Leiden, Schäden sowie Stress und muss unter Berücksichtigung aller beeinflussenden Faktoren individuell erfolgen. Für viele etablierte Tiermodelle und tierexperimentelle Eingriffe bestehen bis heute Unklarheiten darüber, inwieweit sie das Wohlbefinden der einzelnen Versuchstiere beeinträchtigen. Aufgrund fehlender verbaler Kommunikationsmöglichkeiten von Tieren muss die Belastungseinschätzung anhand von Beobachtungen und physiologisch messbaren Parametern erfolgen. Dabei stellt die Maus, die weltweit am häufigsten in der Forschung eingesetzte Spezies, eine besondere Heraus-forderung dar. Schließlich gehört es zum natürlichen Schutzmechanismus dieser Tiere, vorhandene Schmerzen zu verbergen. Auch wenn in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte auf diesem Gebiet gemacht wurden, stehen derzeit kaum objektive, einheitliche und reproduzierbare Messmethoden zur Belastungsbeurteilung von Mäusen zur Verfügung. Das Ziel dieser Dissertation war es daher, mit Hilfe der Telemetrie belastungs-bedingte Veränderungen physiologischer Parameter von Labormäusen zu erfassen und auf wissenschaftlicher Basis zu beurteilen, um so anhand der gewonnenen Daten die Belastung der Tiere einschätzen zu können. Als Belastungsmodelle dienten hierbei die chirurgische Implantation eines Transmitters, das experimentelle Restraint-Stress-Modell sowie zwei gut etablierte Tiermodelle für CED: das Modell der Interleukin-10 defizienten Maus und das Modell der akuten DSS-induzierten Kolitis. Die in den verschiedenen Versuchen telemetrisch erhobenen Parameter (Temperatur, Herzfrequenz, Herzfrequenzvariabilität und Aktivität) wurden anschließend mit den Befunden der klinischen Untersuchung und mit den Daten von biochemischen Stressmarkern verglichen. Dabei galt es insbesondere heraus zu finden, ob mit Hilfe der Telemetrie auch gering- bis mittelgradige Schmerz- und Belastungszustände objektiv erfasst werden können und daher Vorteile gegenüber dem klinischen Scoring bestehen. Des Weiteren wurde der Einfluss von Stress auf die Pathogenese der chronisch entzündlichen Darmerkrankung untersucht. Für die telemetrische Überwachung von Labormäusen ist zunächst eine chirurgische Implantation eines Transmitters erforderlich. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit konnten bestätigen, dass dieses invasive Verfahren belastend und zunächst mit postoperativen Schmerzen für die Tiere verbunden ist. Allerdings wurde auch deutlich, dass die Tiere sich schnell an den in der Peritonealhöhle liegenden Transmitter gewöhnen. Nach einer Erholungszeit von mindestens zwei Wochen kann die Telemetrie deshalb für Langzeitmessungen an wachen und sich frei in ihrer gewohnten Umgebung bewegenden Mäusen verwendet werden, ohne eine zusätzliche Belastung darzustellen. In allen untersuchten Belastungsmodellen stellte sich die Telemetrie gegenüber der klinischen Untersuchung als deutlich sensitivere Methode zur Detektion von Schmerz und Belastung dar. Insbesondere die Aktivität und Herzfrequenzvariabilität erwiesen sich als äußerst zuverlässige Indikatoren zur Beurteilung des Wohlbefindens. Anhand dieser Parameter war es möglich selbst gering- bis mittelgradige Schmerz- und Belastungszustände der Mäuse zu erkennen. Die klinische Untersuchung war hingegen selten aussagekräftig. So konnten in den Kolitismodellen erst bei Auftreten von Durchfall einhergehend mit starkem Gewichtsverlust Veränderungen im äußeren Erscheinungsbild festgestellt werden. In den Stressversuchen fand eine schnelle Gewöhnung der Tiere an die sich wiederholende Stressexposition statt. Somit war das verwendete Restraint-Stress-Protokoll nicht geeignet, dauerhaft einen eindeutig stressinduzierten Phänotyp zu erzeugen. Ebenso konnte mit diesem experimentellen Stressprotokoll kein direkter Einfluss von Stress auf die Entwicklung und den Verlauf der chronischen Kolitis festgestellt werden. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass der genetische Hintergrund der Mauslinie einen bedeutenden Einfluss auf die experimentellen Forschungsergebnisse nimmt. Schon unter basalen Bedingungen wurden mit Hilfe der Telemetrie signifikante Unterschiede in allen erfassten physiologischen Parametern zwischen den B6 und den C3 Mäusen detektiert. Die Untersuchungen in der postoperativen Phase sowie unter experimentellem Stress zeigten außerdem, dass die B6 Mäuse deutlich schmerz- und stressempfindlicher waren als die C3 Mäuse. Sie reagierten in beiden Modellen sensibler und benötigten eine längere Erholungsphase. Diese Ergebnisse verdeutlichen die Problematik einer Übertragung auf andere Inzuchtstämme. Zusammenfassend zeigten die Ergebnisse dieser Doktorarbeit, dass die Telemetrie eine objektive und reproduzierbare Erfassung belastungsrelevanter Parameter von Labormäusen erlaubt. Da die Tiere zur Erhebung der physiologischen Parameter nicht manipuliert werden müssen, liefert sie robuste und zuverlässige Daten und leistet somit einen wertvollen Beitrag zum Refinement und zur Reduction gemäß des 3R Prinzips.
The wellbeing of laboratory animals has gained increasing interest during the last decade in society as well as in the animal research sector itself. This development is also reflected in current legislation: According to EU Directive 2010/63, applications for experimental procedures require an assessment of expected severity imposed on animals. Furthermore, while studies are carried out, mandatory monitoring of the actual severity level for each individual animal requires constant assessment and documentation, including the evaluation of pain, suffering, physical damage as well as psychological stress and needs to be evaluated on an individual basis. For many well-established animal models and procedures, uncertainty remains in the actual extent of stress experienced by the animal. Due to missing verbal communication, severity assessment takes place through observations and the measurement of physiological parameters. This is particularly challenging in the most widely used laboratory animal - the mouse, because of its natural behaviour of hiding pain. Despite considerable progress in the field, methods for severity assessment in terms of objectivity, standardization and reproducibility are still scarce. The aim of this thesis was to develop a method to assess stress-induced changes of physiological parameters in laboratory mice through the use of telemetry in order to predict the levels of imposed severity. In order to analyze severity the following mouse models were used: surgical transmitter implantation, restraint stress and two well-established murine models of inflammatory bowel disease (the IL-10 deficient mouse and the DSS-induced colitis). Acquired telemetry data (temperature, heart rate, heart rate variability, activity) were compared to clinical findings from physical examination and analysis of biochemical markers of stress. Special focus was laid on whether telemetry was able to objectively detect mild to moderate pain and stress levels and if this method has advantages over clinical assessment. Furthermore, the impact of stress on the pathogenesis of chronic inflammatory bowel disease was assessed. Telemetric surveillance requires laboratory mice to undergo prior surgical implantation of transmitters. The findings of this work confirm that this invasive procedure causes stress and immediate postoperative pain. However, the animals adapted rapidly to the implanted transmitter in the peritoneal cavity. After a recovery period of at least two weeks, telemetric data can be collected continuously from awake and freely moving mice, without further stress induction through the presence of a transmitter. In all examined experimental models, telemetry was found to be a much more sensitive method for pain and severity assessment than clinical examination. Here, activity and heart rate variability were particularly relevant indicators for welfare assessment. According to these parameters, it was possible to detect even mild to moderate pain and stress levels in mice. In contrast, clinical examination was rarely conclusive. In the colitis models, for instance, changes in clinical appearance only occurred when diarrhea and severe weight decrease were present as well. In the restraint stress model, rapid habituation to repeated stress exposure was observed and thus, the used experimental protocol was found unsuitable to produce a long-term stress-induced phenotype. This experimental stress-induction model was also unable to provide insight on the impact of stress on the development and progression of chronic colitis as well. Furthermore, this study showed that the genetic background of mouse strains has great impact on experimental results. Telemetry was able to detect significant differences between B6 and C3 mice in all measured physiological parameters already under baseline conditions. Data from the postoperative phase and the induced stress experiments showed that B6 mice were significantly more sensitive to pain and stress than C3 mice. They reacted more sensitively and needed a longer recovery period in both models. These findings illustrate the problem of transmission to other inbred mouse strains. In summary, the results of this thesis demonstrate that telemetry provides an objective as well as reproducible method for the assessment of physiological parameters related to stress exposure in laboratory mice. Since the animals do not need to be manipulated for the collection of physiological parameters, telemetric monitoring provides robust and reliable data and is thus a valuable contribution to the refinement and reduction according to the 3R principle.
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